Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Ortsgruppe Schwerte

Radtour Schwerte - Ioannina 2024

Besuch von Schwertes griechischer Partnerstadt als Abenteuer auf vier mal zwei Rädern

Zwischen Main- und Taubertal | © HM

Das hatte Chryso sich bestimmt ganz anders vorgestellt! Der Mittdreißiger, Deutsch-Grieche und zweiter Vorsitzender der Städtepartnerschaft Schwerte-Ioannina, hatte Mitstreiter gesucht für seine Idee, sein Geburtsland von Schwerte aus im Zuge einer Radtour zu besuchen; gefunden hat er daraufhin drei Mitradler im mehr oder weniger fortgeschrittenen Rentenalter. – Wird das gut gehen?

Start der Tour ist am 20. April 2024 mit großem Bahnhof am Schwerter Rathaus, das Wetter äußerst ungemütlich: kalt und regnerisch. Wir vier Griechenland-Radler, Chryso, Werner, Peter und ich, fahren zunächst in bekannten Gefilden die Lenne aufwärts bis Plettenberg. Von dort aus geht es in ziemlich direkter Linie über die Höhe zum Biggesee und weiter über Olpe zum ersten Etappenziel Wenden. Dank unserer Regenkleidung und einiger Regenpausen unter Brücken u. ä. sind wir halbwegs trocken geblieben. Dennoch reicht unsere Energie abends in unserer vorgebuchten Ferienwohnung nur noch, den Pizzadienst zu bestellen …

Der nächste Morgen beginnt mit leichtem Schneefall. Obwohl dieser im Tagesverlauf aufhört, bleibt es empfindlich kalt. Unsere heutige Tour führt auf teilweise naturnahen, aber gut befahrbaren Wegen durch insgesamt recht dünn besiedeltes Gebiet. Zur Mittagszeit kehren wir in einem griechischen Lokal in Herborn ein. Als bekannt wird, wohin unsere Reise führen soll, ist ein Gruppenfoto mit fast allen anwesenden Mitarbeitern fällig.

Am Spätnachmittag erreichen wir unser Tagesziel Butzdorf, ein beschauliches Städtchen ca. 30 km nördlich von Frankfurt. Die Unterkunft haben wir von unterwegs übers Internet reserviert. Auch alle folgenden Übernachtungen der Tour werden von jetzt an jeweils einen, max. zwei Tage im voraus gebucht. Diese Vorgehensweise gibt uns Flexibilität für nicht-planbare Verzögerungen und hat uns Vieren zu keiner Zeit Probleme bereitet – es ist natürlich auch noch sehr früh in der Saison.

An den Folgetagen geht es zunächst am Main entlang, rüber ins Taubertal, entlang der Wörnitz, über die Donau und dann den Lech aufwärts bis Augsburg. Zwischendurch passieren wir wunderschöne Städte wie Miltenberg, Dinkelsbühl, Nördlingen und Harburg. Das Wetter stabilisiert sich allmählich, und obwohl es recht kühl bleibt, mehren sich sonnige Perioden. Bei klarer Sicht haben wir nun immer wieder eindrucksvolle Blicke auf die Alpen.

Am Nachmittag des siebten Radfahrtages erreichen wir Bad Tölz, wo wir einen Fototermin haben: Ein in einem Supermarkt beschäftigter Bruder von Chryso hat die werbewirksame Überreichung von Präsentkörben an jeden von uns vier Langstreckenradlern organisiert. Anschließend geht’s noch einige Kilometer weiter zum Etappenziel Lenggries. Mich erwartet hier eine faustdicke Überraschung: Als wir den Tag im Biergarten ausklingen lassen, kommt Frank um die Ecke, ein langjähriger Radelfreund von mir, der im Speckgürtel von München wohnt und unsere Tour über meine täglichen Statusmeldungen auf WhatsApp verfolgt hat. Sein lapidarer Kommentar: „In Lenggries war´s nicht schwer euch zu finden!“

Wir sind nun vollends in den Alpen angekommen. Isaraufwärts gewinnen wir immer mehr an Höhe, bis wir bei Seefeld einen atemberaubenden Blick hinab zum Inn haben. Schweren Herzens verschenken wir 600 Höhenmeter und folgen jetzt dem immer enger werdenden Inntal. Bevor wir uns zum Reschenpass hocharbeiten, werden wir lange Zeit von heftigem Gegenwind gequält, der uns die landschaftlichen Schönheiten weitgehend vermiest. – Am Reschensee fragen wir uns erstaunt, wo denn wohl das Wasser ist! Weil die Straße wegen Erdrutschgefahr weiter in den See verlagert werden soll, ist der Wasserspiegel für Monate abgesenkt und hinterlässt eine ziemlich trostlose Geröllwüste.

Es geht nun im Vinschgau permanent abwärts nach Meran. Hier beschließen wir, dass unsere Winterkleidung jetzt nicht mehr erforderlich ist und schicken sie per Paket zurück nach Deutschland. Indem wir der Etsch nach Süden folgen, verlassen wir das deutsche Sprachgebiet. Von nun an sind wir, sobald Englisch nicht mehr weiterhilft, auf Chrysos Grundkenntnisse in Italienisch angewiesen.

Nördlich von Verona verlassen wir für einen Tag das Etschtal und machen einen Schlenker am Gardasee entlang. In Verona selbst erwartet uns jede Menge touristischer Betrieb, aber auch eine an Sehenswürdigkeiten reiche Stadt. Das gleiche gilt einen halben Tag später für Mantua und anderntags insbesondere auch für Bologna, das uns bei unserer abendlichen Suche nach einem schönen Restaurant ausgesprochen gut gefällt.

Hinter Bologna geht es mehr als 100 km flach und schnurgeradeaus Richtung Adria, weitestgehend an oder auf Überlandstraßen. Wir werden von Tausenden Autos überholt; eins davon schneidet mich beim Rechtsabbiegen und bringt mich zu Fall. Glücklicherweise trage ich nur ein paar Schrammen davon und einen verbogenen Schalthebel, der sich aber wieder richten lässt. Auf der Gesamt-Tour ist dies einer von insgesamt vier Stürzen, von denen mit Ausnahme von Chryso jeder von uns mal erwischt wird, die aber allesamt glimpflich verlaufen.

Bei Rimini erreichen wir die Adriaküste. Die ganze Region hier befindet sich in der Saisonvorbereitung: Strände werden geharkt, Sonnenschirme eingepflanzt. Wir fahren -zig Kilometer an Strandpromenaden entlang; die Radwege sind großenteils bestens ausgebaut, weisen aber etwas weiter südlich auch einzelne Lücken auf. Das eine oder andere Mal müssen wir dann die direkte Küste verlassen, und es wird oft hügelig, manchmal auch steil. Während die Strände auf den sommerlichen Ansturm warten, ragen auf der anderen Seite nicht weit entfernt die schneebedeckten Abbruzzen auf; wir meinen fast, wieder in Alpennähe zu sein! – Eine unserer Unterkünfte, ein Privatquartier bei Ortona, liegt ziemlich hoch über dem Meer und weitab von geschlossenen Ortschaften. Deshalb bietet unser Gastgeber an, uns zu einem Restaurant zu chauffieren – ein Hoch auf die Gastfreundschaft!

Am Folgetag veranlasst uns ein in „komoot“ unglücklich gesetzter Navigationspunkt zu einer Schiebepassage in einem Geröllhang. Darauf hätten wir gern verzichtet! Ab Nachmittag führt unser Weg für gut 120 km weg vom Meer durchs Landesinnere. Die durchfahrenen Städte entsprechen meiner Vorstellung von süditalienischer Provinz: sie sind alt, eng und ziemlich verschlafen. Das umgebende Land hier ist eben und weitgehend baumlos, nicht gerade der interessanteste Abschnitt unserer Reise!

Bei Barletta kommen wir wieder an die Adria. Obwohl die Straßenzüge denen der vorherigen Städte ähneln, hat Barletta als Hafenstadt deutlich mehr zu bieten. Höhepunkt für uns ist allerdings unsere Unterkunft. Das Haus besteht lediglich aus einem Zimmer im ersten und einem weiteren im zweiten Stock, ganz oben ein Dachgarten, auf dem wir am nächsten Morgen gemeinsam frühstücken. Erreichbar sind diese Räume über eine enge, halsbrecherisch steile Treppe. Weil überdies in der engen Gasse keine Abstellmöglichkeit für unsere Räder besteht, müssen sie mit aufs Zimmer …!

Wir meistern alles unfallfrei und treten am nächsten Tag zu den letzten Kilometern in Italien an. Kurz vor Bari knacken wir die 2.000-km-Grenze unserer Tour und feiern dies mit einem Espresso. Bis zum Ziel sind es jetzt nur noch gut 150 km! - Weil die Nachtfähre nach Griechenland erst am nächsten Abend abfährt, haben wir in Bari reichlich Zeit zur Stadtbesichtigung – wir sind begeistert von der Altstadt und schwer beeindruckt!

Als wir in Igoumenitsa griechischen Boden betreten, ist es noch stockdunkel, und wir haben Schwierigkeiten, ein geöffnetes Café für ein Frühstück zu finden. Danach geht es sofort in die Küstenberge hinein. Auf den letzten knapp 120 km geht es fast ausnahmslos entweder bergauf oder bergab, mit teils knackigen Anstiegen. Da es seit einigen Jahren eine Autobahnverbindung nach Ioannina gibt, ist auf unserer Route nur sehr wenig Verkehr. Fast ist man versucht zu sagen, dass wir mehr Ziegen als Autos begegnen! Außer Ziegen haben wir aber auch andere, weit unangenehmere tierische Begegnungen: halbverwilderte große Hütehunde rotten sich in meist großer Anzahl zusammen und sind uns Radfahrern überhaupt nicht wohlgesonnen. Bei einer Gelegenheit sehen wir uns sogar genötigt, Höhenmeter verloren zu geben und einen anderen Weg zu nehmen.

Weil die Tour bis Bari ohne Verzögerung verlaufen ist, haben wir für die Reststrecke jetzt einen Tag mehr zur Verfügung – glücklicherweise angesichts des Geländeprofils! Den Nachmittag unseres ersten Griechenland-Tages können wir deshalb für einen Besuch bei Freunden von Chryso nutzen. Rena und Stavros haben bis vor Kurzem in Deutschland gelebt und verbringen nun ihr Rentenalter, wie viele andere in Nordwest-Griechenland auch, in der alten Heimat. Nach einem gemeinsamen Essen fährt uns Stavros stundenlang durch die Gegend und zeigt uns stolz seine schöne, jetzt noch überaus grüne Heimatregion. Wir Radfahrer müssen feststellen, dass Autofahren ausgesprochen müde macht ...

Bei zwei anderen Begegnungen am nächsten Tag merken wir, dass unsere Ankunft sich bei einigen Leuten durchaus schon herumgesprochen hat. In einem kleinen Dorf in den Bergen werden wir von einem Bewohner – ein Freund von Freunden von Chryso – mit Mokka und Ouzo bewirtet. Einige Stunden später essen wir in der dörflichen Taverne. Als der Wirt anschließend eigentlich schließen muss, überlässt er uns zusammen mit einem Krug Wein auch den Schlüssel zu seinem Lokal; so können wir den letzten Radfahrtag – wie so viele vorher – gemütlich bei einem Kartenspiel ausklingen lassen.

Am 13. Mai stehen wir vormittags bei herrlichem Wetter auf dem letzten Berg vor unserer Zielankunft. In einem weiten Talkessel, 400 m unter uns, liegt Ioannina, allerdings noch in dichten Nebel verhüllt. Dieser lichtet sich aber bei unserer Abfahrt, so dass wir bei strahlendem Sonnenschein ankommen. Die letzten Meter werden wir von mehreren Polizeimotorrädern zum Rathaus eskortiert. Hier hat sich ein recht großes Empfangskommitee aufgestellt, das uns mit viel Hallo begrüßt. Zusätzlich zu den Bürgermeistern beider Partnerstädte und Vertretern der Stadt Ioannina sind auch zahlreiche Schwerter anwesend, die im Rahmen einer Studienreise zwei Tage vor uns eingetroffen sind.

Für die verbleibenden fünf Tage bis zu unserem Rückflug nach Deutschland – unsere Räder nehmen den Landweg mit einer Spedition – schließen wir uns der Schwerter Studiengruppe an und lernen die Region Epirus, deren Hauptstadt Ioannina ist, näher kennen. Die anderen Gruppenmitglieder haben eine deutlich kürzere und bestimmt weniger anstrengende Anreise nach Griechenland gehabt. Ich aber habe drei Wochen intensiver Erlebnisse und Eindrücke hinter mir, die ich nicht missen möchte. Ich würde mit keinem von ihnen tauschen wollen!

Harald Miehe, ADFC Schwerte


https://schwerte.adfc.de/neuigkeit/radtour-schwerte-ioannina-2024

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